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Kleinod der Kunst.
»Du musst erst drei Tage auf dieser Insel verbringen, damit du sie lieben wirst … und am liebsten nicht mehr weg willst und immer wieder kommst.«
Genauso erging es mir. Das erste Mal setzte ich 2009 einen Fuß auf die Insel. Wir ankerten vor Hiddensee und schipperten mit dem Beiboot hinüber und gingen in Vitte an Land. Sehr touristisch erschien mir beim ersten Spaziergang der Ort, die Insel. Der Supermarkt war schnell gefunden, die Fischbude im Hafen auch. Abends ging es zurück an Bord des Traditionsseglers und am nächsten Tag setzen wir die Segel und nahmen Kurs auf Warnemünde.
Vor einigen Jahren fragten mich Freund*innen, ob ich nicht mit ihnen und anderen eine Woche auf der Insel verbringen wollte. Ich hatte Lust auf Ostsee, Insel und eine Auszeit sowieso. Bereits am zweiten Tag zog es mich zum Karusel, in welchem einst die Diva des frühen europäischen Films – Asta Nielsen – von 1925 bis 1933 ihre Sommerferien verbrachte.
Nirgends ist man so jung, so froh und so frei wie auf dieser schönen Insel.
– Asta Nielsen
Das originelle, blau-weiß-getünchte Haus wurde von Max Taut entworfen und besticht bereits von weitem durch den geschwungenen Rundbau. Max Taut, jüngerer Bruder des großen Bruno Taut, des avantgardistisch, kreativen Architekten und Magdeburger Stadtbaurats, beauftragt mit dem Auftrag für Magdeburg einen Generalsiedlungsplan zu erstellen. Innen im Karusel gibt es neben Rudimenten des einstigen Interieurs des dänischen Stummfilmstars auch Dokumente von Asta Nielsen, denn ihr Karusel entwickelte sich schnell zum Sammelpunkt für Malerinnen, Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen. Einer unter Ihnen war der Schriftsteller Joachim Ringelnatz. Die Schauspielerin und den Poet verband eine ganz besondere Freundschaft und sie wirbelten die Inselwelt und ihrer Gäste zu jener Zeit, zum Ende der wilden 1920er Jahre gehörig auf.
Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.
– Joachim Ringelnatz
Wo wir schon mal bei der Literatur sind. Meine Unterkunft befand sich in Kloster, unweit der des Gerhart Hauptmann-Haus. Früher, zu DDR-Zeiten mussten wohl alle Schulklassen bei einem Hiddensee-Besuch zunächst dieses Museum besuchen, bevor sie zum nahgelegenen Strand laufen durften und wahlweise in die Wellen sprangen oder ihre Pausenbrote verzehrten.
Ich schaffte es bei meinem zweiten Hiddensee-Aufenthalt – ein Jahr später – auch ins Gerhart Hauptmann-Haus. Die Ausstellung über den Dramatiker Gerhart Hauptmann (1862-1946), der 1885 das erste Mal die Insel besuchte und nach einigen Hiddensee-Besuchen schließlich den Seedorn in Kloster erwarb und diesen mit einem repräsentativen Anbau versehen ließ, in welchem sich das Arbeitszimmer des Dichters befand. Während die Insel anfangs als ein wiederholter Ort für Hauptmanns Sommeraufenthalte diente, wurde Hiddensee schließlich fester Bestandteil in seinem Leben und Wirken, wo er auch seine letzte Ruhestätte fand.
Die Insel von Gerhart Hauptmann
Hier, wo mein Haus steht,
wehte einst niedriges Gras:
ums Herz Erinnerung weht,
wie ich dereinst
mit Freunden hier sass.
Wir waren zu drein,
vor Jahrtausenden mag es gewesen sein.
Es war einsam hier,
tief, tief!
So waren auch wir.
Verlassenheit über der Insel schlief.
Dann kam der Lärm,
ein buntes Geschwärm:
entbundener Geist,
verdorben, gestorben zuallermeist.
Und nun leben wir in fremdmächtiger Zeit,
verschlagen wiederum in Verlassenheit.
In meines Hauses stillem Raum
herrscht der Traum.
Sein Grab übrigens können Hauptmann-Fans auf dem Inselfriedhof in Kloster besuchen. Wie auch das anderer Prominenter. So zum das von Oskar Kruse (1847-1919), der als Kaufmann und Besitzer eines großen Holzhofes und durch das väterliche Erbe zu Reichtum gelangte, bevor schließlich – mit 42 Jahren –diesen Beruf an den Nagel hing, um 1889 Malerei in Berlin, München und Paris zu studieren. Oskar Kruse hatte ein Mission: Auf Hiddensee sollte eine Künstlerkolonie entstehen. Dafür ließ er in Kloster die Jugendstilvilla, die Lietzenburg bauen, wo er in den Sommermonaten immer wieder Künstlerinnen der verschiedenen Sparten um sich versammelte. Neben dem Malen baute Oskar Kruse – von den Inselbewohnerinnen liebevoll Onkel Os genannt –seine Gabe als Geschichten-Erzähler aus. Abends scharrte er Menschen um sich und erzählte ihnen stundenlang märchenhafte, ironische und manch grausame Geschichten.
Auch Oskars Bruder Max (1854-1942) verschrieb sich der Kunst. Er war Bildhauer, der im Stile des Neubarock und des Neoklassizismus und mit der Puppenmacherin Käthe Kruse (1883-1968) verheiratet.
Doch nicht nur die Kruses hatten den Traum von einer Kolonie für die Kunst. Hennie Lehmann (1862-1937), eine politisch und sozial engagierte Künstlerin und Autorin, kaufte 1919 die alte Bäckerscheune in Vitte, baute sie zum Atelier aus und bot sie Künstlerinnen als Ausstellungsfläche an. Heute ist dieses Haus unter dem Namen Blaue Scheune weit über die Insel hinaus bekannt. Ihren Namen hat sie dem Maler Günter Fink zu verdanken, der dem Gebäude nach dem Krieg einen leuchtend blauen Anstrich verpasste.
Für Henni Lehmann hatte der bekannte Dramatiker Hauptmann nur verächtliche Worte: »Es ist ein ekelhaft bekrochenes Eiland geworden«, schreibt er in sein Tagebuch. »Ein dickes Weib hat eine Villa errichtet und malt frech vor der Tür mit zwei Zentnern am Leibe. Fürchterlich.« Doch das »dicke Weib« ließ sich davon nicht unter kriegen und gründete gemeinsam mit Berliner Malerin Clara Arnheim den Hiddenseer Künstlerinnenbund.
Auch die wunderbare Hiddensee-Malerin Elisabeth Büchsel (1867-1957) erlag, nachdem sie die Insel 1904 für sich entdeckte schnell diesem ganz besonderem Zauber der Insel. Morgens nahm sie ein erquickendes Bad im Meer, wie auch ich seit meinem dritten Hiddensee-Urlaub. Anders als die von den Fischern nur »Tante Büchsel« genannte Künstlerin zu ihrer Zeit, irritierte ich die Einheimischen damit kein bisschen mehr. Sie selbst fing in ihren Werken nicht nur den Reichtum der Natur ein sondern auch das Leben der Fischer, der Frauen auf dem Feld und die Hiddenseer Kinder beim Spiel.
Während meiner Insel-Besuche zog mich Hiddensee immer mehr in ihren Bann. Ich begab mich auf die die Spuren der DDR-Geschichte und mit dem Rad zum Enddorn und in den Süden der Insel, zum kleinen Leuchtturm. Ich zauberte Foto-Bilder und schuf Wesen aus dem Stein, ließ mich unwissender Weise auf der Sehnsuchtsbank nieder, tauchte in die vielfältige Literatur über die Insel und ihre Bewohnerinnen auf Zeit ein.
Wer weiß, vielleicht schaffe ich es bei einem meiner nächsten Aufenthalte zu der Zeit da zu sein, wenn zu Ehren der Ausdruckstanz-Künstlerin Gret Palucca (1902-1993) im Juli die Tanzwoche auf Hiddensee stattfindet.
Auf der Insel, wo die Gründerin der der Schule für modernen Tanz in Dresden, mit 91 auf dem Inselfriedhof ihre letzte Ruhestätte fand. Die Dresdener Studentinnen improvisieren ihr zu Ehren am Strand, auf dem Deich, am Leuchtturm, dort, wo nach Meinung von Professor Ralf Stabil die Wurzeln des Ausdruckstanzes liegen.
Meine Tänze haben keinen anderen Inhalt und Sinn als eben den Tanz, die natürliche Bewegung, gestaltet im Gleichklang mit der Musik.
– Gret Palucca
Bis heute ist die Insel ein Treff- und Sehnsuchtsort der Künstlerinnen, egal welcher Sparte. Und auch ich zähle die Tage rückwärts bis zum nächsten Jahr, vergrabe mich in meine Literatur und schwelge Dank meiner Fotografien in der wilden und trotz des Trubels manchmal ganz ruhigen, freie Momenten, mit Blick auf Weiden, Wiesen, aufs Meer. Und überlege ganz nebenbei, wie ich vielleicht noch mehr Zeit auf der Insel verbringen kann, um neue Impulse für das eigene Schaffen zu bekommen und mit der Kunst der Vergangenheit und Gegenwart in Berührung zu kommen.
Der erste Besuch fand im Rahmen eines privaten Segeltörns statt.
Die weiteren Reisen im Rahmen des jährlichen Hiddensee-Colloquiums des Instituts für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien (Magdeburg/Berlin) statt.
Hallo Kirsten! Du hast sehr stilvollen Blog – Fotografie, Reisen, Kunst… Was kann noch besser sein? Ich warte gern auf deine weitere Beiträge.
Hallo Tini, wie recht du hast. Ich wünschte selbst, es wäre etwas mehr. Doch leider nehmen mich Job und aktuelles Crowdfunding für WESENsART mich zu sehr in Anspruch. Doch ich gelobe Besserung. 🙂