Fotomomente. | Bewusst gestaltet.
Du sitzt am Rande des Sees und schaust hinaus aufs Wasser. Außer dir ist niemand weiter hier. Von den Bäumen her wehen die filigranen Gesänge der Vögel zu dir herüber. Die Sonne glitzert auf den sanften Wogen des Wassers. Eine kleine Luftblase gluckert im Wasser empor und zerplatzt nach kurzem Zögern an der Oberfläche. Du schließt die Augen, ein sanfter Windhauch streift dein Haar und das Geäst der umstehenden Bäume. »Hach, wenn der Moment doch ewig andauern würde!« seufzt du hin dich hinein und drückst den Auslöser deiner Kamera.
Eine ausgelassene Feier, ein Fest, ein Event, alle Anwesenden sind am Strahlen, Lachen und Scherzen. Du bist glücklich, in diesem Moment, an diesem Abend. Du nimmst deine Kamera, hältst sie vor dich und deine Freund*innen. Ihr rutscht alle noch ein wenig enger zusammen, grinst ins Kameradisplay und ruft laut aus »Käsekuchen!« Es macht klick und dieser wunderbare Moment ist für immer festgehalten.
Straßenschluchten, das Hupen der Autos, die Menschenmassen drücken sich an dir vorbei. Du bleibst einfach stehen, beobachtest was um dich herum passiert. Du drehst schnell an den Einstellrädchen deiner Kamera, stützt sie ein wenig mit deinem Arm ab, wählst mit dem Sucher den perfekten Kameraausschnitt und löst aus. Klick.
Wochen später hältst du dein kleines Album mit all den Fotomomenten von der letzten Reise in der Hand und mit jedem Umblättern der Seiten träumst du dich zurück an all die fantastischen Orte, Begegnungen und Augenblicke.
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[Tweet “»Ein gutes Foto ist ein Foto, auf das man länger als eine Sekunde schaut.« Henri Cartier-Bresson“]
Möge dieser Augenblick niemals enden.
Wie lange dauert ein Augenblick? Und wie lange kann er andauern? Tage? Oder doch nur eine Minute oder gar eine Sekunde?
Ein Jahr hat 365 Tage und da wir dieses Jahr ein Schaltjahr haben, sogar 366 Tage. Das sind 8.784 Stunden oder auch 527.040 Minuten, also 31.622.400 Sekunden. Doch wieviele und vorallem welche dieser Sekunden, Minuten, Stunden werden zu diesen Augenblicken und Fotomomenten, die man am liebsten mit der Kamera einfrieren möchte? Muss man überhaupt jeden Moment mit der Kamera festhalten? Was ist ein Fotomoment und welcher Klick mit der Kamera ist eigentlich beim späteren Sichten der Fotos doch gar nicht so toll?
Der richtige Fotomoment.
Tja, welches ist denn nun der richtige Moment, den Auslöser an der Kamera zu drücken? Gibt es ihn überhaupt?
Manchmal denke ich: »Wow, das wäre ein perfektes Motiv, der richtige Moment, das richtige Licht.« Ich habe alle nötigen Kamera-Einstellungen vorgenommen, schaue auf und durch die Linse – und schon ist der Fotomoment dahin: die Person hat ihren Blick abgewendet, die Wolke ist weiter gezogen und der wunderbare Augenblick dahin. Da heißt es dann, das nächste Mal schneller sein.
Manchmal passiert es aber auch, dass man beim Blick durch den Sucher der Kamera feststellt, dass das Motiv als Bild nicht funktioniert. Hier heißt es dann, den eigenen Blickwinkel zu ändern oder einfach nicht den Auslöser zu drücken.
Dieses bewusste Sehen bedarf allerdings einiger Übung. Auch die Frage nach dem, was man denn zeigen und aussagen will mit diesem oder jenem Foto ist sehr wichtig.
[Tweet “»Wer sehen kann, kann auch fotografieren. Sehen lernen kann allerdings dauern.« Leica“]
Ich habe mir daher vorgenommen, dieses Jahr noch bewusster wahrzunehmen und hinzusehen. Und du kannst das auch mit ein paar kleinen Tricks und ein wenig Übung.
Das Bild – bewusst gestaltet.
1. Bewusst schauen.
Dazu geh eine Stunde vor die Haustür und durch dein Viertel. Tu so, als ob du als Tourist*in hier wärst und die Gegend das erste Mal entdecken würdest. Setze dich an die Bushaltestelle oder auf eine Parkbank und schau dich um. Was nimmst du wahr? Entdeckst du Ecken, eine Haustür oder einen besonders markanten Baum – Dinge, die dir vorher vielleicht gar nicht aufgefallen sind?
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2. Bewusst inspiriert.
Lass dich inspirieren. Blättere durch Fotobüchern bekannter Fotografinnen und tausche dich mit Freundinnen über deine Fotoergebnisse aus. Frage dich beim Betrachten von anderen Aufnahmen, was fasziniert dich an dem Bild und wie ist er oder sie bei der Bildinszenierung vorgegangen, um das zu erreichen.
3. Bewusst inszeniert.
Überlege nun, wie die neu entdeckten Ecken so auf einem Foto bannst. Frage dich, was spannend an diesem Motiv sein könnte: ist es die Perspektive, das Format, der Bildausschnitt, der Kontrast, die Linienführung oder doch etwas ganz anderes. Bedenke bereits bei der Bildkonzeption, was die Bildaussage unterstützen kann oder was diese abschwächt. Überlege auch, ob dieses oder jenes Objekt oder Person noch mit aufs Bild muss oder sonst der Fokus verloren geht. Hier gilt: beschränke dich bzw. weniger ist häufiger mehr, außer du planst ein Bild wie der Fotokünstler Andres Gursky.
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4. Bewusst außermittig.
Nichts wirkt langweiliger, als wenn der Fokus des Bildes auf der Mitte liegt und alles danach ausgerichtet ist. Man verharrt mit dem Blick viel eher auf Fotos, wo das Motiv an den Rand gedrängt ist oder gar angeschnitten ist, der Horizont von der Mittellinie abweicht und der Blick der porträtierten Person irgendwie den Blick auf etwas außerhalb des Bildrandes richtet. Erzähle den Menschen, die dein Bild betrachten nicht gleich alles – lass sie es selbst entdecken, lass sie auf Spurensuche innerhalb des Bildes gehen und ihre eigenen Erfahrungen bei der Bildbetrachtung einfließen.
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5. Bewusster Einsatz von Vorder- und Hintergrund.
… beziehungsweise der Tiefenschärfe.
Wenn du eine Kamera besitzt, bei der du die Blende manuell einstellen kannst, kannst Einfluss auf die Tiefenschärfe nehmen. Die Blende – dargestellt mit dem ƒ vor der Zahl – ist die hintere Öffnung deines Objektives. Je nachdem wie groß du die Blende einstellt hast, trifft entsprechend viel Licht auf den Sensor der Kamera. Dabei gilt: je größer die Blendenzahl, die zum Beispiel mit Zahlen wie ƒ/1.8, ƒ/3.5, ƒ/5,6 […] angegeben wird, desto kleiner ist die Öffnung der Blende. Das bedeutet also, je kleiner die Blendenzahl, umso mehr Licht trifft auf den Sensor. Da aber die Blende auch Einfluss auf die Tiefenschärfe hat, bedeutet eine kleine Blendenzahl gleichzeitig, dass das Motiv weniger Tiefenschärfe aufweist. Diese Einstellung ist besonders bei Porträts oder Detailaufnahmen spannend, also bei Aufnahmen, bei denen der Hintergrund ruhig unscharf sein darf. Möchtest du allerdings, dass der Hintergrund scharf abgebildet ist – besonders spannend bei einer Skyline – solltest du eine höhere Blendenzahl wählen. Da aber dadurch eine längere Belichtungszeit mit einhergeht, solltest du überlegen, ob du ein Stativ (oder einen Mauervorsprung, etc.) für die Aufnahme benötigst.
Spannende Aufnahmen gelingen beim bewussten Einsatz der Blende, wenn der Vordergrund eher unscharf ist und der Fokus eher auf dem Hintergrund liegt oder das Objekt im Vordergrund durch den Einsatz von Linien (siehe Punkt 2) den Blick des/der Betrachter*in Richtung Hintergrund lenkt.
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6. Bewusst die Perspektive ändern.
Aufnahmen, die immer vom gleichen Standpunkt fotografiert werden, sind auf Dauer langweilig – außer du setzt dieses Stilmittel bewusst ein.
Daher hocke dich doch mal hin, stell dich auf die Zehenspitzen oder klettere eine paar Stufen hinauf und beobachte, wie sich dein Blick dadurch auf dein Motiv verändert.
Hohe Bauwerke unterstützt du außerdem in ihrer Größe, wenn du sie im Hochformat leicht von unten fotografierst, während du die Weite eines Kornfeldes besser von einem leicht erhöhten Foto-Standpunkt im Querformat einfängst.
Nun bin ich gespannt:
Was sind für dich Fotomomente?
Wie setzt du diese im Bild um?
Hast du noch weitere Tipps für mich?
Mein Fotomoment für den März 2016 – Lissabon.
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